Was ist eigentlich, wenn sich Arbeitnehmer bei der Arbeit mit dem Corona-Virus infizieren? Ob und wann eine COVID-19-Erkrankung als Arbeitsunfall gilt, und was dann zu beachten ist, erklärt der IG Metall-Experte Benjamin Pfalz.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine COVID-19-Erkrankung als Arbeitsunfall anerkannt werden?
Benjamin Pfalz: Voraussetzung ist, dass die Infektion unmittelbar auf die Tätigkeit bei der Arbeit zurückzuführen ist. Elementar ist, dass ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person nachweislich stattgefunden hat und spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt die Erkrankung mit Symptomen eingetreten ist.
Also sollten Beschäftigte, die annehmen, sich während der Arbeit mit dem Coronavirus angesteckt zu haben, dies als Arbeitsunfall beim zuständigen Unfallversicherungsträger anzeigen?
Pfalz: Das ist eigentlich Aufgabe des Arbeitgebers oder des behandelnden Arztes. Geschieht das nicht, kann man die Anzeige aber auch selbst stellen. Gerade bei den diffusen Krankheitsverläufen und möglichen Spätfolgen von COVID-19 sind Beschäftigte bei der gesetzlichen Unfallversicherung am besten abgesichert. Außerdem bringt eine Ermittlung des Sachverhaltes mehr Klarheit über mögliche Infektionsketten im Betrieb. Das kann und muss genutzt werden um den Infektionsschutz zu verbessern. Davon profitieren alle. Wichtig ist auch: COVID-19 kann prinzipiell auch als Wegeunfall werden, für einzelne Beschäftigtengruppen zudem als Berufskrankheit. Beispielsweise für Beschäftigte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder aber in Laboratorien spielt das eine Rolle.
Auf was sollten Beschäftigte achten, um eine möglichst lückenlose Dokumentation vorweisen zu können – ist es beispielsweise sinnvoll, eine Art Tagebuch über die jeweilige Arbeitssituation zu führen?
Pfalz: Grundsätzlich ist der zuständige Unfallversicherungsträger verpflichtet die genauen Umstände im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens zu klären. Das heißt aber nicht, dass Hinweise und Anhaltspunkte der Betroffenen wertlos sind. Im Gegenteil, sie sind von großer Bedeutung. Eine gute Dokumentation ist deshalb auf jeden Fall hilfreich, insbesondere dann, wenn in ihr Verstöße gegen notwendige Schutzmaßnahmen dokumentiert sind: Das kann beispielsweise die Nicht-Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Meter sein oder aber fehlende persönliche Schutzausrüstung wie OP- und FFP2-Masken.
Notwendig für die Anerkennung ist, dass die Infektion auf einen intensiven Kontakt mit einer infizierten Person zurückzuführen ist. Wie lässt sich das dokumentieren?
Pfalz: Das ist nicht ganz leicht. In jedem Fall muss ein intensiver beruflicher Kontakt zwischen dem erkrankten Antragssteller und der infizierten Person stattgefunden haben. Hierbei kommt es vor allem auf die Dauer und die Intensität des Kontaktes an. Der Nachweis einer Infektion lässt sich am besten durch einen zeitnahen Erreger-Nachweistest erbringen.
Woran bemisst sich, was ein “intensiver Kontakt” ist?
Pfalz: Ausschlaggebend sind die Dauer des Kontakts und die Nähe, die beim Kontakt bestanden hat. Die Corona-Arbeitsschutzregel geht von einer Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als eineinhalb bis zwei Metern aus. Eindeutig ist das aber nicht: Es kann auch ein zeitlich kürzerer Kontakt ausreichen, wenn es sich um eine besonders intensive Begegnung gehandelt hat. Umgekehrt kann dies für einen längeren Kontakt gelten, obwohl der Mindestabstand eingehalten wurde.
Wie kann der Betriebsrat erkrankte Beschäftigte unterstützen?
Pfalz: Der Betriebsrat sollte darauf hinwirken, dass eine Anzeige durch den Arbeitgeber gestellt wird. Dann muss er die Unfallanzeige des Unternehmens an die Berufsgenossenschaft mit Unterschreiben. Nur das, was in der Anzeige steht, geht in die Fallermittlung mit ein. Der Betriebsrat kann die Unterschrift verweigern, wenn in der Unfallanzeige die Sicht der betroffenen Kollegin, des betroffenen Kollegen nicht berücksichtigt ist. Er sollte das dann auch tun. Der Betriebsrat kann Betroffene auch bei der Dokumentation unterstützen, das ist meist sehr hilfreich. Schließlich kann er auch eine eigene Stellungnahme an die BG verfassen, so dass die Sicht des Beschäftigten auf jeden Fall berücksichtigt ist.
Welche Leistungen stehen dem Betroffenem im Falle eines anerkannten Arbeitsunfalls zu?
Pfalz: Mit der Anerkennung eines Arbeitsunfalls haben Betroffene bzw. Versicherte Anspruch auf das gesamte Leistungsspektrum der gesetzlichen Unfallversicherung. Das sind Leistungen der Akutbehandlung und der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Aber auch Verletzten- und Übergangsgeld oder im schlimmsten Fall Rentenzahlungen sind möglich. Gerade der Blick auf schwere Verläufe und mögliche Langzeitfolgen von COVID-19 macht eine Anzeige sinnvoll, weil die Leistungen zur Reha bei den Unfallversicherungen für Beschäftigte die beste Versorgung gewährleistet.
Was muss aus Sicht der IG Metall jetzt zügig angegangen werden?
Pfalz: Die jetzt von den Arbeitgebern verpflichtend angebotenen Corona-Schnell- und Selbsttests bieten die Chance, schneller und besser Infektionsketten im Betrieb nachzuvollziehen. Das kann die Unfallermittlung unterstützen. Das setzt allerdings voraus, dass Beschäftigte die für sie freiwilligen Angebote nutzen. Aus unserer Sicht sollten sie das tun, denn es unterstützt auch die Prävention. Grundsätzlich gilt es, die Zahl der COVID-19-Infektionen weiterhin so gut es geht zu minimieren. Doch wir sehen immer noch Defizite in der Corona-Prävention. Unsere letzte Betriebsrätebefragung zeigt: Gute 20 Prozent unserer Betriebsräte sind unzufrieden mit der Umsetzung von Schutzkonzepten. Hier sind die Unternehmen gefordert. Sollte es dann dennoch zu Infektionen am Arbeitsplatz kommen, dann sollten Unternehmen ihre Beschäftigten aktiv informieren und von sich aus die nötigen Schritte zur Unfallanzeige unternehmen. Original Bericht